Argumente

Die Schweiz pflegt seit Jahren erfolgreiche Beziehungen zur Europäischen Union und ist sich ihrer geographischen Position und Bedeutung in Europa bewusst. Gerade deshalb sucht die Schweiz eine starke Vernetzung mit Europa und der Welt in Wirtschaft, Politik, Bildung, Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur. Das Beziehungsverhältnis zur EU funktioniert bestens. Doch nun drängt die EU darauf, dass die Schweiz mit einem institutionellen Abkommen (InstA) enger an die EU heranrückt. Für uns geht dieser Schritt klar zu weit. Das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form entspricht nicht unserem föderalen und direktdemokratischen Staatsverständnis und ist für die Schweiz der falsche Weg. Mit den Bilateralen I und II sowie dem Freihandelsabkommen 1972 verfügen wir über ein massgeschneidertes Paket an Verträgen mit der EU.

Das Kurzargumentarium
Das Argumentarium in voller Länge

Darum sind wir gegen das Rahmenabkommen:

 
  • Die Schweiz und Europa brauchen konstruktive Beziehungen auf Augenhöhe.

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Der Rahmenvertrag wäre für unser Land ein faktisch erster Schritt Richtung EU mit vielen Pflichten und ohne Mitspracherecht. So darf der Vertrag auf keinen Fall unterzeichnet werden.

 
André Béchir, Senior Advisor, Gadget abc Entertainment Group AG

 

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Darum sind wir gegen das Rahmenabkommen:

 
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Europa ist wichtig für uns. Wir brauchen ein Wirtschaftsabkommen, aber nicht dieses Rahmenabkommen.

Rolf Dörig, VRP, Swiss Life AG

 

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Darum sind wir gegen das Rahmenabkommen:

 
  • Mit der aktuellen Stellung des EuGH sind im Streitfall Richter, Kläger und Recht von derselben Partei. Damit wird die Schweiz schwer benachteiligt.

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Eine gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn ist nötig und erstrebenswert. Wir brauchen aber einen Kompass, der uns den Weg weist, ohne dass wir unsere Freiheit auf Selbstbestimmung verlieren. Hier helfe ich gerne mit.

 
Walter Berchtold, Chairman, Vicenda Group

 

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Darum sind wir gegen das Rahmenabkommen:

 
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Wir brauchen ein ausbalanciertes Wirtschaftsabkommen, denn Europa ist wichtig, auch für uns. Dieses Rahmenabkommen erfüllt die Voraussetzungen nicht.

 
Jörg Wolle, Unternehmer

 

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Kritische Fragen zum InstA

 
Wieso gefährdet das Rahmenabkommen de Föderalismus und die direkte Demokratie in der Schweiz?
Die Schweiz ist ein föderalistischer Staat. Das bedeutet: Die Macht ist auf Bund, Kantonen und Gemeinden aufgeteilt. Jede Ebene nimmt ihre eigenen Aufgaben und Kompetenzen war. Die Bundesverfassung hält verbindlich fest, welche Aufgaben Bund und Kantone erfüllen müssen. Die Kantone ihrerseits legen die Kompetenzen für die Gemeinden auf ihrem Gebiet fest. Wenn EU-Recht höher gewichtet wird als eigenes Recht, untergräbt dies unser Staatswesen und bedroht fundamental unser höchst erfolgreiches politische System.
Was bedeutet das InstA für unsere direktdemokratischen Instrumente (Volksinitiativen / Referenden)?

Die direkte Demokratie lebt von Instrumenten wie der Volksinitiative oder dem fakultativen und obligatorischen Referendum. Eine automatisierte Übernahme von EU-Recht höhlt diese Instrumente aus. Wehrt sich die Schweiz gegen die Rechtsübernahme, muss sie mit strengen Retorsionsmassnahmen rechnen und ständig der EU gegenüber kompromissbereit sein. Der demokratische Handlungsspielraum wird beschnitten. Konkret heisst das: Schweizer Bürgerinnen und Bürger hätten grundsätzlich die Möglichkeit, Initiativen und Referenden zu lancieren und darüber abzustimmen. Doch am Schluss wird gemäss den im Rahmenabkommen festgelegten Mechanismen klar geregelt, ob ein erfolgreich erkämpftes Volksbegehren mit dem institutionellen Rahmen vereinbar ist resp. ob es so umgesetzt werden kann.

Die Schweiz kenn in verschiedenen Bereichen das bewährte Instrument der staatlichen Beihilfen. Sind diese durch das InstA in Gefahr?

Ja! In der Schweiz gibt es verschiedene staatliche Beihilfen, die sich bewähren und grundsätzlich unumstritten sind. Man denke beispielsweise an die Kantonalbanken, die im Besitz der jeweiligen Kantone sind und teilweise noch von Staatsgarantien profitieren. Tritt das InstA in Kraft, könnte seitens EU die Forderung laut werden, dass die Kantonalbanken privatisiert werden müssen. 

 

Weitere staatliche Beihilfen, die seitens EU hinterfragt werden könnten, sind beispielsweise Absatzförderungen auf gewisse Produkte. Schweizer Lebensmittel erfüllen im Vergleich zur EU höhere Umwelt-, Tierwohl- und Sozial-Standards. Das hat einen Preis. Der Bund stützt mit der sogenannten Absatzförderung hiesiges Obst, Gemüse, Fleisch & Milchprodukte, indem durch Sensibilisierung zu den hohen Produktionsstandards Präferenzen für Schweizer Produkte und Akzeptanz für Preisdifferenzen geschaffen werden sollen. 

 

Ein weiteres Beispiel findet sich im Bereich der Tourismusförderung: Viele touristische Unternehmen in der Schweiz sind in staatlichem Besitz (Gemeinden). Promotionen für touristische Gebiete könnten als marktverzerrende staatliche Beihilfe interpretiert werden und künftig seitens EU unter Druck geraten. 

 

Auch unter Druck geraten könnten regionale Entwicklungsprogramme, Standortförderungen oder kantonale Unternehmenssteuerpraktiken, sofern sie seitens EU als «Standortdumping» und somit als wettbewerbspolitisch oder binnenmarktpolitisch relevant erachtet werden.

Was hat die Schweiz bei der dynamischen Übernahme von EU-Recht zu befürchten?

Die faktisch automatisierte Rechtsübernahme gefährdet den Föderalismus und den Kern der direkten Demokratie. Die Schweiz würde zum Spielball der EU-Jurisdiktion, ohne jeglichen Einfluss darauf zu haben. 

 

 Zudem gilt es zu beachten: Die Schweiz müsste Rechtsänderungen/-anpassungen auch in dem Falle übernehmen, wenn noch ein Verfahren beim Schiedsgericht hängig ist (und die Schweiz also mit der Anpassung nicht einverstanden ist). Und dies mit einer Frist weniger Monate. In den meisten Fällen wird der EuGH mitreden. Weil die EuGH-Rechtsprechung durchaus Monate oder gar Jahre dauern kann (und möglicherweise auch politisch gesteuert werden kann), entstehe wegen dieser Rechtsunsicherheit eine Situation, in welcher die Schweiz bereits EU-Recht zwingend übernehmen muss, ohne dass der EuGH je geurteilt hat. Diese Situation wirft viele Fragen auf und untergräbt die Rechts- und Planungssicherheit für die betroffenen Akteure – insbesondere die der Unternehmen. Das Fehlen mittel- und längerfristig verbindlicher Rechtsgrundlagen wird in der Praxis zu einem Wildwuchs an Interpretationen, Auslegungen und Handlungsempfehlungen führen, solange nicht klar ist, ob Schweizer oder EU-Recht verbindlich anzuwenden ist. Eine einheitliche Rechtsanwendung wäre damit nicht mehr gegeben.

Wieso darf die Schweiz nicht den EuGH als oberste Instanz beim Streitbeilegungsverfahren akzeptieren?

Das Rahmenabkommen sieht vor, dass im Falle von Streitigkeiten, welche die Auslegung oder Anwendung von EU-Recht betreffen, zwingend der Europäische Gerichtshof (EuGH) angerufen werden muss. Dieser entscheidet darüber, wie das EU-Recht auszulegen ist. Dessen Auslegung ist bindend für das Schiedsgericht. Die faktische Entscheidungsinstanz in Streitfällen wird somit der EuGH sein. Damit entscheidet ein Gericht der EU über einen Streit zwischen der EU und einem souveränen Partner. Richter, Kläger und Recht stammen in diesem Fall von derselben Partei. Dies widerspricht sämtlichen international anerkannten Vorgaben für ein faires und unparteiisches Schiedsverfahren zwischen zwei völkerrechtlich souveränen Vertragspartnern. Die Schweiz befindet sich in einer Zwickmühle: Entweder wir geben im Streitfall von Beginn an nach oder der EuGH zwingt uns später dazu, nach dem Willen der EU zu handeln.

Weshalb macht das Rahmenabkommen die Schweiz erpressbar?

Die EU will mittels InstA der Schweiz eine Super-Guillotineklausel aufdrücken, um nach Belieben Änderungen am InstA und seinem Geltungsbereich vornehmen zu können. Deutlich wird dies mit den Artikeln 21 und 22: Falls es zu Situationen kommt, die nicht der Brüsseler Lesart entsprechen, sieht das InstA eine Revisionsklausel (Art. 21) vor. Akzeptiert die Schweiz die «Vorschläge» zur Anpassung des InstA nicht, kann die EU mit Art. 22 drohen – also die Kündigung des InstA und damit das Ausserkrafttreten sämtlicher Abkommen, die sich auf das Rahmenabkommen beziehen. Dieses Konstrukt kommt einer Erpressung gleich ganz nach dem Motto: Vogel friss oder stirb. Wenn die Schweiz nicht pariert, sorgt die EU dafür, dass wir mit abgesägten Hosen dastehen.

Was bedeutet das InstA für die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik?

Die Anbindung der Schweiz an die EU mittels Rahmenvertrag bedeutet zwar weniger Barrieren im Handel mit der EU, aber mehr Barrieren zum Rest der Welt. Die Schweizer Wirtschaft ist international ausgerichtet und auf gute und stabile Handelsbeziehungen zu ihren Exportmärkten angewiesen. Die Schweiz darf sich nicht einseitig auf einen Handelspartner fokussieren und handelspolitische Freiheiten preisgeben. 

 

Das Handelsvolumen der Schweiz mit dem Rest der Welt ist bereits heute grösser als dasjenige mit der EU. Zudem zeigt der Trend eine weitaus positivere Entwicklung in diesen Märkten, da sie deutlich schneller wachsen. Die Bedeutung der Märkte ausserhalb der EU wird für die Schweiz in absehbarer Zukunft weiter zunehmen. Es widerspricht den handelspolitischen Interessen der Schweiz, sich in das Korsett des Rahmenvertrages zwängen zu lassen und die eigene Handlungsfreiheit aufzugeben. Es liegt im ureigensten Interesse der Schweiz ein dichtes und weitverzweigtes Netz von Handelsbeziehungen in die verschiedenen Weltmärkte zu pflegen. Die Schweiz reduziert mit einem breit gefächerten Netz weltweiter Handelsbeziehungen die Abhängigkeit von einem Handelspartner und ist dadurch widerstandsfähiger gegenüber Druckversuchen.

Müssen Schweizer Unternehmen ohne Rahmenabkommen hohe Markzugangskosten tragen?

Seit einiger Zeit macht ein Beispiel der Medtech-Branche die Runde. Weil die EU die Bilateralen (ohne Rahmenvertrag) nicht mehr aktualisieren will, seien Unternehmen gezwungen, Produkte doppelt zu zertifizieren, was zu sehr hohen Mehrkosten führen würde. Das stellt sich als Drohgebärde heraus. Schweizer Medtech Unternehmen haben längst damit begonnen, ihre Produkte bei einer Zertifizierungsstelle in der EU zertifizieren zu lassen – dies, um den Export in den EWR sicherzustellen und gleichzeitig auch den Vertrieb in der Schweiz zu ermöglichen. Dieses Vorgehen garantiert die Zertifizierung in sämtlich relevanten Märkten – bereits heute, ohne InstA! Das zeigt: Der vermeintliche Schaden wir politisch hochstilisiert. Es geht auch ohne InstA!

Was hat die Schweiz zu befürchten, wenn sie sich gegen das InstA entscheidet?

Nichts! Der Wert des Rahmenabkommens wird überschätzt. Die Angstmacherei bezüglich volkswirtschaftlicher Konsequenzen bei einem Projektabbruch wird massiv übertrieben. Die Ablehnung des Rahmenabkommens führt nicht einfach zur Kündigung der bestehenden bilateralen Abkommen. Denn die EU hat ein eminentes Interesse an produktiven Beziehungen zur Schweiz – auch ohne Rahmenabkommen. Zudem haben wir mit den Freihandelsabkommen eine Basis, die ausbaufähig ist. Ein Nein zum Rahmenabkommen in der vorliegenden Fassung ebnet zudem den Weg für eine neue und bessere Alternative. Der stark auf Europa gerichtete aussenwirtschaftliche Blick der Schweiz kann sich endlich öffnen. Dies würde helfen, die Wirtschaftsbeziehungen und den Handel mit dem Rest der Welt weiter auszubauen und zu fördern. Kompass / Europa sucht hier proaktiv nach einer optimalen Lösung, welche die Schweizer Wirtschaft international schützt und fördert.

Was bedeutet der Brexit für das Rahmenabkommen?

Mit dem Brexit verliert die EU ein Mitgliedstaat, der der sogenannte «europäische Integration» stets skeptisch gegenüberstand und immer eine liberale Marktwirtschaft anstrebte. Nach dem Brexit wird die EU ihre Wirtschaftspolitik in eine restriktivere und einheitlichere Richtung ändern. Die Zeit, als der mächtige Mitgliedstaat UK bei diesen Tendenzen als Korrektiv wirkte, werden vorbei sein. Die Akzeptanz für nationale Sonderregeln und der Interpretations- und Handlungsspieltraum bei den Mechanismen im Binnenmarkt wird drastisch schwinden. Dies muss im Hinblick auf das InstA berücksichtigt werden. Der Schweiz würden keine oder möglichst wenige Sonderregelungen gewährt werden. Unsere wirtschaftsliberalen Interessen wären mehr als nur gefährdet. 

 

Gleichzeitig entstehen dank des Brexits für die Schweiz auch Opportunitäten. Das vereinigte Königreich (UK) hat wesentliche Zugeständnisse von der EU erhalten: 

 

  • -Keine automatisierte Rechtsübernahme 
  • -Keine materielle Überprüfung von Streitfällen durch den EuGH, sondern durch ein unabhängiges Schiedsgericht 
  • -Keine Guillotine-Klausel zur Suspendierung oder gar Kündigung von Verträgen 

 

Diese Zugeständnisse umfassen genau die souveränitätspolitischen Themenkreise, welche der Bundesrat bisher stets umschiffen wollte. Nun zeigt sich: Standfestigkeit zahlt sich aus, und es gibt Wege, das Verhältnis zur EU zu regeln, ohne das souveräne Staatswesen aufzugeben. 

 

Gewiss kann man die Situation von UK und der Schweiz nicht komplett miteinander vergleichen. Ja, UK bewegt sich weg vom Binnenmarkt und hat jetzt erstmals ein Freihandelsabkommen mit der EU. Die Schweiz hat diesen Status seit dem Freihandelsabkommen 1972, und wir haben die Beziehungen mit der EU seither über die Bilateralen I und II intensiviert. Dadurch haben wir in einigen Bereichen erleichterten Zugang zum Binnenmarkt, wir sind aber nicht Teil davon. Mit diesen handelsrechtlichen Grundlagen – Bilaterale I und II sowie das Freihandelsabkommen 1972 – verfügen wir über ein massgeschneidertes Paket an Verträgen.

Schafft das InstA stabile Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU und damit Sicherheit – auch für Unternehmen?

Das InstA lässt vitale Fragen ungeklärt. Erstens zwingt uns das InstA, EU-Recht im Bereich der unterstellten Abkommen zu übernehmen. Wie das EU-Recht morgen aussieht, wissen wir noch nicht. Zweitens ist der künftige Perimeter unklar. Gegenwärtig gilt das InstA für fünf Abkommen. Die EU wird aber darauf drängen, weitere Abkommen auszuhandeln und dem InstA zu unterstellen. Drittens sind die Konsequenzen auf unsere Autonomie in der Aussenwirtschaftspolitik unklar, wenn uns die EU den Regeln des EU-Binnenmarktes unterwerfen will. Und viertens ist bei Streitigkeiten mit langen Schiedsgerichtsverfahren zu rechnen. 

 
Ein Vertrag, der so viele Fragen ungeklärt lässt, darf nicht unterschrieben werden.
Ooni Lüüt gaat nüüt!
 
Hans-Ueli Rihs, Unternehmer

 

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